Es versteht sich von selbst, dass der PC-Betriebssystem-Marktführer und Pionier grafischer Benutzeroberflächen sein Steckenpferd stetig weiterentwickelt. So war es anfangs noch nicht möglich häufig genutzte System-Dialoge in der Größe zu verändern. Heute ist das immer noch so, aber dafür unterstützen einige Fenster hier und da jetzt einen Dark Mode.
Professionelle UI-Designer haben in kräftezehrenden Studien herausgefunden, dass die beste User Experience für Systemeinstellungen erreicht wird, wenn man die Einstellungen in zwei vollkommen separate Bereiche -in eine Systemsteuerung und eine Einstellungs-App- unterteilt. Aufgrund des überraschend positiven Feedbacks wurde dieser Zustand, eingeführt mit der ersten Windows 8-Betaversion, in allen folgenden produktiven Builds beibehalten. Vergessen Sie die dahingefrickelten und aus einem Guss wirkenden Benutzeroberflächen aktueller Linux-Distributionen, der Schein trügt.
Bereits Supermärkte haben erkannt, dass man stetig die Produktpräsentation verändern muss, damit es den Kunden nicht langweilig wird. So setzt auch der Hersteller unseres Lieblingsbetriebssystems die Prioritäten richtig und bietet regelmäßig einen exzellenten GUI-Redesign-Service an: Desktop und Explorer werden oberflächlich neu gestaltet, damit der Nutzer auch mal merkt, dass man sich mit der neuen Version richtig Mühe gegeben hat. Für Nostalgiker bleibt dabei natürlich immer ein Überbleibsel der vorherigen Designsprache im System bestehen, so wird auf faszinierende Art ein lebendiges Museum erschaffen, und diese GUI-Inkonsistenzen werden mit beachtlicher Präzision und Ausdauer durchgezogen.
Tatsächlich verbesserungswürdige Stellen wie die MMC und deren SnapIns aus der Kreidezeit bleiben selbstverständlich unangetastet, damit die AutoHotkey-Skripte aus der Boomer-Genration nicht durcheinander kommen. Btw: dass es so etwas wie AutoHotkey überhaupt gibt ist ein Zeichen absoluter Perfektion, denn nur unterentwickelte operierende Systeme bieten APIs oder skriptbare Kommandozeilentools für alle Features an. Profis hingegen machen eben alles mit der GUI, auch die Automatisierung von Workflows.
Auch das Fensterdesign in den aktuellen Windows-Setups ist ganz bewusst noch im Stil von Windows 7 gehalten. Denn das weckt positive Erinnerungen bei den Nutzern, bevor man im darauf folgenden Ersteinrichtungsbildschirm mit Internet- und Accountzwang gar nichts mehr zu lachen hat.
Ebenso versteht der freundliche Hersteller aus Redmond das Prinzip der zielgruppengerechten Informationsaufbereitung. Mit Windows 8 wurde der Trend eingeführt (Fehler-)Meldungen so unspezifisch wie möglich zu gestalten. Das ist sehr hilfreich um den unbedarften Nutzer nicht zu überfordern, denn das Suchen nach genauen Fehlercodes im Internet ist sehr anstrengend. „Da ist etwas schief gelaufen“, probieren Sie es einfach später noch einmal, Zwinkersmiley [1]!
Schön sind auch Formulierungen mit dem inklusiven wir: „Wir haben’s fast geschafft“ oder „Wir haben ein paar Updates für Sie“. Mit dieser Formulierung wird auch die jüngste Zielgruppe, Kindergartenkinder, direkt angesprochen.
Dank der klassischen Finanzierung durch Lizenzkäufe kann man sich sicher sein, dass man nicht selbst zum Produkt wird und auf dem eigenen Computer anfallende Telemetriedaten in intransparenter Art und Weise durch den Hersteller verarbeitet werden. Merke: kostenfreie Software oder gar Open Source-Projekte taugen dagegen allgemein nicht wirklich etwas und finanzieren sich sowieso nur durch nervige Werbung und den Verkauf von Benutzerdaten, also da lieber Finger weg!
Updates jeglicher Systemkomponenten verlangen glücklicherweise seit jeher einen Neustart. Dies, sowie der Einbau diverser Eastereggs [2] in kumulativen Updates, dient zur Erhöhung der Spannung im dristen Büroalltag. Zudem kann der Neustart, die Update-Installationszeit und die anschließende Fehlersuche- & Behebung gemütlich für einen Plausch mit den KollegInnen genutzt werden, ohne dass man sich für den Chef extra eine Ausrede überlegen muss. Auf derartige Komfortfeatures müssen Nutzer freier Software leider häufig verzichten.
Ein sehr großer Nachteil anderer Systeme ist auch, dass alte Zöpfe konsequent abgeschnitten werden. Professionelle Betriebssysteme hingegen bewahren maximale Kompatibilität mit gut gereifter 100-jähriger Software, z.B. indem bei neuen Releases intern einfach die Versionsnummer der vorhergehenden Version beibehalten wird. Dadurch merken die doofen Treiber gar nicht, dass sie auf einer neueren Betriebssystemversion installiert werden – ein genialer Schachzug, bei welchem die Schöpfungshöhe schon fast zum Patent ausreicht!
Dank des begrenzten Hardware-Supportzeitraums müssen Sie sich auch keine Gedanken mehr darüber machen, ob Ihr Rechner eventuell schon zu alt ist und sie von Ihren Enkelkindern deswegen ausgelacht werden könnten. Sobald eine neue Betriebssystemversion erscheint werden Sie rechtzeitig informiert, dass Sie einen neuen Rechner kaufen müssen. Denn was ist schon ein Heim-PC ohne TPM, SecureBoot und einem Prozessor der übernächsten Generation? Das brauchen auch Sie als Ottonormalverbraucher, Sie wissen es nur noch nicht.
Sie merken also, an der technologischen Überlegenheit besteht kein Zweifel, aber für Qualität muss man halt auch in die Tasche greifen. Daher setzen auch so viele Softwarehersteller auf dieses bewährte Betriebssystem und bieten ihre Software gar nicht erst für andere Systeme an. Keineswegs stellt Open Source-Software ein gleichwertige Alternative dar, bitte denken Sie nicht einmal daran. Klar, jede Software hat Bugs, aber nur die von Microsoft hat wirklich witzige. Und dafür lohnt es sich Geld auszugeben, denn der Konzern geht auch mit Feedback souverän um!
Lobend erwähnen muss man an dieser Stelle auch die öffentlichen Einrichtungen. Gut, dass Behörden Steuergelder gar nicht erst versuchen in Projekte mit freier Software zu versenken. „Public Money, Public Code“… irgendwann ist auch mal genug mit dem Schabernack!
Um es noch einmal deutlich zu sagen, liebe Entscheiderinnen und Entscheider in den hohen Positionen: es macht eindeutig mehr Sinn direkt einsatzfertige, professionell entwickelte proprietäre Software zu kaufen anstatt zu versuchen das bodenlose Open Source-Fass zu befüllen. Sonst würden andere Unternehmen wie Blutsauger einfach so von den eigenen Entwicklungen profitieren! Wir warnen auch immer wieder davor eigene Software-Entwicklungskompetenzen in öffentlichen Einrichtungen aufzubauen oder gar den Quelltext für eingekaufte Software zu verlangen um sich nicht von einem Unternehmen abhängig zu machen, das ist doch viel zu kompliziert.
Lassen Sie uns noch kurz einen Blick auf ClearType werfen. Diese einzigartige Komponente erfuhr mit dem Windows 10 1903-Update eine großartige neue Funktion, welche bis heute verfügbar ist: bunter Text auf OLED-Displays. Das ist einfach genial, so kann man passiv aggressiv vor den Kollegen damit angeben, dass man sich einen OLED-Bildschirm leisten kann.
Nudging ist eine Methode, um Menschen oder Gruppen subtil zu beeinflussen, um bestimmte Verhaltensweisen zu fördern oder zu vermeiden.
Diese Begriffsklärung wurde zufällig eingefügt. Es besteht kein Zusammenhang zu dem Marktführer von Client-Betriebssystemen mit den bekanntlich sehr guten Intentionen.
Dass dieses Flickwerk namens „Windows“ endgültig nicht mehr zu retten ist, zeigen Absurditäten wie folgende. Via Gruppenrichtlinie wurde die Bildschirmstandby-Zeit eingestellt. Als Admin möchte man kontrollieren, ob das auf den Clients auch wirklich funktioniert, und verbindet sich via RDP auf eine der Kisten. Man stellt fest, dass Nutzer die Zeit noch immer frei ändern können. Es folgt eine ewige Fehlersuche, bis man genervt zum Client läuft und sich einmal lokal anmeldet. Und siehe da – plötzlich sind die Auswahlboxen deaktiviert. „April, April“, spuckt Windows dem Admin ins Gesicht. Tatsächlich wirkt die Richtlinie bereits, aus unerfindlichen Gründen werden jedoch die Auswahlboxen bei einer RDP-Sitzung nicht deaktiviert.
Danke, Microsoft, für solche Erfahrungen gebe ich gerne Geld aus. Schön, dass ihr euch auf die wichtigen Dinge konzentriert. Vielleicht könnt ihr noch ein wenig KI in die Auswahlboxen einbauen? Das löst sicher alle Probleme. Mit „Recall“ bereitet ihr den Nutzern ja jetzt schon große Freude. Es ist schön, wenn Unternehmen so stark auf ihre Kunden hören und nicht an den Wünschen und Anforderungen vorbei entwickeln.
Herumgefrickel und Lösungen im Internet suchen – da denkt man sofort an Linux! Mit aktuellen Windows-Versionen ist das hingegen viel einfacher. Bei Ersteinrichtung sind nur die wenigen Nachfragen zu Telemetrie- und Datensammeln verneinen. OneDrive „später einrichten“. Kurz noch Cortana deaktivieren und die vorinstallierte Bloatware entfernen. Netflix, Xbox und Co. braucht man ja doch eher selten auf dem Arbeitsgerät. Dann mit Tools von Drittanbietern die Telemetrie komplett abstellen, auch ganz schnell erledigt. Gelegentliche Windows-Update-Probleme [2] können durch kurze Google-Suchen einfach gelöst werden. Nach der Betriebssystem noch schnell den 100MB großen Treiber für den Tintenpisser installiert, und noch die Treiber für WLAN, Mobilfunk-Modul, Bluetooth, Webcam, Thunderbolt und Soundkarte. Dann noch schlappe 600MB für den Grafikkartentreiber mit GeForce-Experience und Loginzwang, für die beste Benutzererfahrung, und schon kann’s losgehen!
Gratiniert werden all diese Vorteile mit der hervorragenden (deutschen) Übersetzung, welche den Arbeitsalltag für Englisch-Muffel spürbar erleichtert. Vor allem die raffinierten Übersetzungen der GPO-Texte lassen nicht nur die Herzen der Germanisten, sondern auch der Mathematiker höher schlagen. Derartig gute Comedy gibt es nicht kostenlos. Ebenso sei der große Beitrag zur Völkerverständigung hier erwähnt, welcher durch eine famose Kombination von deutschen Wörtern und nicht näher spezifizierten asiatischen (?) Schriftzeichen mühelos herbeigezaubert wird.
Zum Schluss möchten wir in diesem Review noch die Frage beantworten, ob es nicht problematisch ist, dass so viele Computer auf der Welt mit Windows laufen und Microsoft nicht vielleicht sogar eine Monopolstellung besitzt. Die Antwort lautet klar: Nein, wie kommen Sie darauf? Schreiben Sie Ihre Antwort bitte in eine Textdatei auf Ihren OneDrive-Cloudspeicher. Wir finden Ihr Feedback dann schon. Achten Sie nur darauf nichts zu schreiben was unseren Feedback-Algorithmus verwirrt oder gar traurig macht. Wäre doch schade, wenn Ihr Account gesperrt werden würde.
Und um auch gleich mit dem Irrtum aufzuräumen „Würden sich die Mehrkosten und Schulungsaufwände für eine Migration auf freie Systeme nicht nach einigen Jahren amortisieren? Macht es nicht Sinn Arbeit in Open Source zu investieren, damit alle profitieren können, anstatt sich mit kruden Workarounds zur Abschaltung von Telemetrie, Cloud und Bloatware auf Windows die Zeit zu vertreiben?“: NEIN! Niemand mag Veränderungen, es ist doch alles grad so schön und einfach wie es ist!
Unterm Strich sind wir dennoch etwas überrascht aus was für einem chaotischen Haufen Altlasten die Windows-eigenen Komponenten bestehen. Im Sinne der Abwärtskompatibilität kann dies aber nur gut geheißen werden.
TESTERGEBNIS
Top Produkt, netter Kontakt, gerne wieder.
[1] an dieser Stelle viele Grüße an Martin Sonneborn
[2] von einigen Kritikern fälschlicherweise als „Bugs“ bezeichnet
Beweisstück A – Beweisstück B – Beweisstück C – Beweisstück D – Beweisstück E
… sucht selber weitere Beispiele …